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Zabanja

Anmeldungsdatum: 17.11.2010 Beiträge: 1367 Wohnort: Wien
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Verfasst am: 09.12.2010, 12:59 Titel: Eine kleine Weihnachtsgeschichte (für Kinder ab 4 Jahren) |
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Das ist eine von zwei Weihnachtsgeschichten, die mir grade durch Zufall wieder in die Hände gefallen sind.
Vielleicht kann sie ja jemand brauchen (Zu dieser gibts noch eine Vorgeschichte, in der der kleine Drache das Fliegen lernt. Bei Interesse stell ich sie gerne ein)
Für Steffie
Der kleine Drache folgt einem Stern
Übermütig flog Drago, der kleine Drache, durch die klare Winternacht. Nun, da er endlich das Fliegen gelernt hatte, hielt ihn kaum noch etwas am Boden. Er war ein richtiger Flugkünstler geworden, schlug Saltos in der Luft, schraubte sich hoch in den Himmel und ließ sich im Sturzflug auf die Erde zurückfallen, um dann in einem gewagten Manöver, kurz vor dem Aufprall, in die Waagerechte zu gehen und nur wenige Zentimeter über dem Boden entlang zu sausen.
Auch in dieser Nacht ging Drago seiner neuen Leidenschaft nach. Gerade flog er ein Stück auf dem Rücken liegend, um die Sterne besser beobachten zu können, als er etwas merkwürdiges sah: Ein Stern leuchtete heute besonders hell. Viel heller als sonst. Drago war sich da ganz sicher, denn gerade dieser Stern war sein Lieblingsstern. Er leuchtete in einem sanften Gelb und unterschied sich dadurch etwas von den anderen Sternen, die entweder weiß, oder ganz leicht hellblau aussahen.
„Nanu?“, sagte der kleine Drache. „Mein Stern leuchtet doch sonst nicht so hell. Das muss ich mir unbedingt näher ansehen.“
Schnell drehte er sich wieder auf den Bauch und begann heftig mit seinen kurzen Flügeln zu schlagen, um seinen Stern so rasch wie möglich zu erreichen. Höher und höher flog er hinauf, doch er kam dem Stern einfach nicht näher.
Entmutigt ließ Drago sich auf die Erde zurückfallen und landete auf einer Bergspitze. Er lehnte sich mit dem Rücken an einen Felsen und blickte erneut nach oben.
„Du bist so weit weg, Stern. Viel zu weit für einen kleinen Drachen wie mich. Dabei möchte ich doch so gerne wissen, warum du heute Nacht so hell leuchtest. Geht es dir nicht gut? Hast du Fieber? Als ich einmal krank war und Fieber hatte, sagte meine Mama, ich würde glühen. Vielleicht bist du ja auch krank. Ach Stern, ich würde dir so gerne helfen. Aber vielleicht freust du dich ja auch und strahlst vor Glück. Was ist nur da oben los? Ob ich es noch einmal probieren soll?“
Drago überlegte nicht lange, sondern nahm einen großen Anlauf und schwang sich erneut hinauf in den Himmel. Er flog so hoch in seine Flügel trugen und mit einem Mal hatte er den Eindruck, dass sein Stern vor ihm her flog.
„Stern! Warte doch! Ich möchte doch mit dir reden!“, rief Drago und schlug wie wild mit seinen Flügeln, doch er konnte den Stern nicht einholen. Die ganze Nacht folgte er ihm über den Himmel, bis ihm schließlich die Flügel so weh taten, dass er auf der Erde landen musste. Er suchte sich ein Plätzchen, an dem er ungestört war und sich verstecken konnte. Dort rollte er sich zusammen und schlief ein.
In der nächsten Nacht sah er wieder hinauf zum Himmel und entdeckte seinen Stern sofort. Er stand noch an der selben Stelle, wie die Nacht zuvor – und er leuchtete immer noch so hell. Drago hatte fast das Gefühl, sein Stern würde ihn rufen.
Gleich stieß er sich wieder vom Boden ab und flog hinauf in den Himmel. Wieder folgte er seinem Stern die ganze Nacht hindurch ohne ihn einzuholen, doch als der Morgen kam, landete er auf der Erde und versteckte sich im Gebüsch um zu schlafen.
Abends erwachte Drago, als ihm ein dicker Regentropfen auf die Nase fiel. Er sah hinauf in den Himmel und stellte fest, dass er nichts außer dicken Wolken sehen konnte. Dem ersten Regentropfen folgten weitere und schon bald regnete es wie aus Eimern.
„Geht weg ihr dummen Wolken!“, schimpfte Drago und wischte sich die Wassertropfen aus dem Gesicht. „So kann ich doch meinen Stern nicht sehen!“
Doch die Wolken verschwanden nicht. Traurig stapfte der kleine Drache durch die Nacht. Er ließ seine Flügel hängen und sein Schwanz schleifte über die feuchte Erde. Was, wenn sein Stern heute Nacht weiterzog? Vielleicht würde er ihn dann morgen Nacht gar nicht mehr wiederfinden?
Drago achtete gar nicht darauf, wohin er lief. Er blickte auf seine Füße, während er einen Schritt nach dem anderen machte und blickte erst wieder auf, als er gegen etwas warmes, weiches lief. Das Etwas sprang auf und schrie erschrocken: „Iah!“
Das wiederum erschreckte den kleinen Drachen so sehr, dass er einen Satz rückwärts machte, stolperte und auf seinem Hinterteil landete.
„Wer... wer bist du?“, fragte er leise und ängstlich. Ein so seltsames und furchterregendes Geräusch hatte Drago noch nie gehört. Gewiss war es ein sehr gefährliches Tier. „Bitte tu mit nichts. Ich wollte dich bestimmt nicht stören.“
„Nein nein“, erklang da eine andere, genauso furchtsame Stimme. „Du darfst mir nichts tun. Ich bin nur ein kleiner Esel und ich hab hier auch nur geschlafen und... und... ich schmecke auch gar nicht. Also bitte nicht fressen, ja?“
„Du bist ein Esel?“ Die Angst des kleinen Drachen war mit einem Mal wie weggefegt. Neugierig kam er wieder näher und sah sich den kleinen Esel an. Er konnte ihn in der dunklen Nacht kaum erkennen, aber er sah ganz deutlich, dass dieses Tier lange Ohren hatte, vier dürre Beine und einen Schwanz. „Keine Angst, ich fress dich schon nicht. Ich heiße Drago und ich bin ein Drache.“
„Ein Drache?“, fragte der kleine Esel erstaunt. „Ich habe noch nie einen Drachen gesehen.“
„Macht doch nichts... ich wusste bisher nicht, was ein Esel ist“, lachte Drago und gleich darauf stimmte der kleine Esel mit ein.
„Wie heißt du?“, wollte Drago wissen.
„Kasimir“, sagte der Esel.
„Und was machst du so alleine hier draußen?“
„Ich hab mich verlaufen“, sagte Kasimir weinerlich. „Ich gehöre zu einer großen Karawane. Wir sind schon lange unterwegs und folgen einem Stern. Unsere Herren, das sind drei Könige, musst du wissen, sagen, dass der Stern uns zu einem kleinen Kind führt, das der Herr über die ganze Welt ist. Sie wollen ihm Geschenke bringen.“
„Ein Mensch?“, fragte Drago aufgeregt. „Du hast schon mal einen Menschen gesehen? Wie sehen die aus?“
„Komisch“, sagte Kasimir. „Sie gehen auf zwei Beinen und tragen seltsame Felle, die sie immer wieder wechseln. Kleider, nennen sie das. Einige von ihnen sind sehr freundlich, aber andere sind nicht nett. Die schlagen uns, wenn wir nicht das tun, was sie gerne hätten. Aber wir stellen uns dann stur, da können die dann machen was sie wollen“, fügte Kasimir stolz hinzu.
„Ich möchte auch mal einen Menschen sehen“, sagte der kleine Drache wehmütig. „Kannst du mir nicht einen zeigen?“
„Wie denn?“, fragte Kasimir. „Ich hab doch meine Karawane verloren. Ich werd nie wieder zurückfinden. Bestimmt kommt bald ein Wolf und frisst mich auf.“
„Ach was“, sagte Drago. „Warte nur ab, bis es aufgehört hat zu regnen. Dann können wir meinen Stern wieder sehen und wenn wir ihm folgen, findest du deine Karawane wieder – und ich sehe endlich einen Menschen.“
„Also gut, wenn du meinst“, erwiderte da der kleine Esel. „Aber wann hört es auf zu regnen?“
„Das weiß ich leider auch nicht, da können wir nur warten. Komm, wir suchen uns eine trockene Stelle und bleiben da, bis der Regen aufgehört hat.“
Drago und Kasimir liefen im Dunkel weiter, bis sie an eine Stelle kamen, die geschützt lag. Dort setzten sie sich hin und rückten ganz eng zusammen. Auf diese Weise musste keiner von ihnen frieren und ehe sie es sich versahen, waren sie eingeschlafen.
Sie erwachten erst wieder, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Erschrocken setzte sich Drago auf und Kasimir, der sich noch verschlafen die Augen rieb, sah ihn erstaunt an. „Was hast du denn?“
„Es ist schrecklich!“, rief der kleine Drache. „Schau nur, es ist schon hell. Jetzt können wir meinen Stern gar nicht mehr sehen!“
„Aber das macht doch nichts, wir haben doch jetzt die Sonne!“, lachte Kasimir und deutete zum Himmel. „Ich weiß genau, wie wir weiterlaufen müssen. Das hat mir meine Mama beigebracht. Komm, folge mir.“
Der kleine Esel wartete nicht darauf, dass der kleine Drache ihm folgte, sondern begann zu laufen. Drago zögerte nur kurz, dann lief er Kasimir nach. „Warte auf mich, ich komme!“
Den ganzen Tag lang wanderten Kasimir und Drago durch dürres Gestrüpp und über felsigen Boden. Am Anfang hatten auf ihren Weg noch Blumen geblüht. „Das hat der Regen gemacht. Sieht hübsch aus, nicht wahr?“, erklärte Kasimir dem kleinen Drachen. Doch je weiter sie liefen, desto weniger Blumen und desto mehr Sand gab es.
„Das ist die Wüste“, sagte der kleine Esel.
„Hier war ich schon mal, erwiderte Drago. „Ich habe eine Menge Tiere getroffen und es war schrecklich heiß. Müssen wir hier durch?“
„Nein, wir bleiben hier am Rand“, sagte Kasimir. „Aber vielleicht können wir eine Pause machen? Ich bin so müde und Durst habe ich auch.“
Der kleine Drache war ebenfalls durstig, doch so sehr sie auch suchten, sie konnten kein Wasser finden. Müde legten sie sich unter einen Felsvorsprung und schliefen erneut ein.
Als sie das nächste Mal erwachten, war es bereits wieder dunkel. Drago sah zum Himmel und sofort erblickte er seinen Stern, der strahlend hell in der schwarzen Nacht leuchtete.
„Kasimir, sieh nur!“, jubelte Drago. „Er leuchtet heller als zuvor. Bestimmt ist es nicht mehr weit. Schnell, lass uns weitergehen. Vielleicht haben wir ja deine Karawane bald eingeholt.“
Nun, da er den Weg auch selbst wieder sehen konnte, war Drago glücklich. Übermütig flog er manchmal ein Stück in den Himmel und schlug einen Salto. Dann kehrte er zur Erde zurück und lief weiter neben Kasimir her, der jedes Mal lachte, wenn der kleine Drache seine Kunststücke machte.
Doch dann blieb Drago plötzlich stehen.
„Was hast du?“, fragte der kleine Esel.
„Mein Stern. Er ist stehen geblieben. Schau doch.“
Tatsächlich waren sie dem hellen Stern nun näher gekommen. Er leuchtete noch heller als zuvor und stand direkt über einen kleinen Hütte.
„Das sieht aus wie ein Stall“, sagte Kasimir. „Und hier soll der Herrscher über die ganze Welt wohnen?“
„Ich kann deine Karawane nicht sehen“, sagte nun Drago.
„Die sind schon wieder weg“, hörten sie eine tiefe Stimmer hinter sich. Erschrocken machte Drago einen Satz in die Luft und Kasimir schrie laut „Iah!“
„Keine Panik Leute“, sagte der kleine Stier und kam einen Schritt näher. „Ich bin’s doch nur, Salomon.“
„Und... was bist du?“, fragte Kasimir schüchtern.
„Ich bin ein Stier“, antwortete Salomon. „Wenn ich groß bin, werd ich der stärkste Stier weit und breit.“
„Wenn du nicht vorher als Braten endest“, kicherte eine Stimme und vier weitere Tiere kamen näher. Sie waren kleiner als Salomon oder Kasimir und sahen sehr weich und kuschelig aus.
„Dumme Schafe“, sagte Salomon beleidigt.
„Deine Karawane war schon vor zwei Tagen da“, sagte eines der Schafe zu Kasimir.
„Ja, das sah toll aus“, schwärmte ein anderes.
„Aber nicht so toll, wie das kleine Kind“, sagte das kleinste der Schafe schüchtern.
„Dann ist es also wahr?“, fragte Drago aufgeregt. „Es ist tatsächlich ein kleiner Mensch in dem Stall?“
„Ein kleiner und zwei große“, antwortete das größte Schaf bereitwillig. „Geh doch einfach mal hin und sieh es dir an.“
Doch nun wurde es dem kleinen Drachen mulmig. Er hatte noch nie einen Menschen gesehen. Wenn sie nun nicht nett waren? Würden sie ihn vielleicht wieder fortjagen? Kasimir hatte ja gesagt, dass es auch böse Menschen gab.
„Geh nur“, sagte das Schaf aufmunternd und stupste Drago in die Seite.
„Ja, sie sind wirklich sehr freundlich“, fügte das kleinste Schaf hinzu.
„Nur, wenn du auch mitkommst, Kasimir“, sagte der kleine Drache schließlich.
Der kleine Esel nickte eifrig. „Ja, ich komme gerne mit.“
„Ich auch“, fügte Salomon hinzu und auch die vier Schafe entschlossen sich dazu, mitzugehen.
Je näher sie dem Stall kamen, desto langsamer wurde der kleine Drache, bis er schließlich vor der offenen Stalltür stehen blieb. Sollte er wirklich dort hineingehen? Er sah zum Himmel hinauf. Sein Stern stand genau über dem Stall und sein Funkeln sah so aus, als würde er sich freuen.
Plötzlich wurde es hell im Türrahmen und ein Wesen trat aus der Tür, wie Drago noch keines gesehen hatte. Es war groß, ging auf zwei Beinen - und es hatte Flügel! Wie er selbst!
Staunend vergaß Drago seine Angst und fragte: „Bist du ein Mensch?“
Das Wesen vor ihm lächelte jedoch nur und deutete ins Innere des Stalls. „Komm nur herein, kleiner Drache. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Auch du nicht, Kasimir. Kommt herein und seht euch das größte Geschenk an, das der Erde je zuteil wurde.“
Drago und Kasimir sahen sich an und tapsten dann Seite an Seite in den Stall. Sie sahen zwei weitere Wesen – diesmal ohne Flügel – die dort im Stroh knieten und sie freundlich anlächelten. Vor ihnen, in einer Futterkrippe, lag ein winziges Wesen, das sie aus großen Augen ansah.
Das also, waren Menschen. Drago war begeistert. Bisher hatte er nur Tiere kennen gelernt. Er erkannte, dass es noch viel mehr zu entdecken gab. So schön er es hier fand und so sehr ihn dieser kleine Mensch auch faszinierte, so spürte der kleine Drache doch, dass es ihn fortzog. Hinaus in die weite Welt und hinein in die Abenteuer.
„So ist es richtig“, hörte Drago die Stimme des geflügelten Wesens hinter sich. „Geh hinaus in die Welt und lerne von ihr. Erzähle allen unterwegs, was du hier gesehen hast und teile deine Freude mit den anderen Lebewesen.“
„Das werde ich tun!“, rief Drago erfreut aus. „Habt vielen Dank für alles.“
Er verabschiedete sich von Salomon und den Schafen und auch von Kasimir, dem kleinen Esel, der beschlossen hatte bei diesen Menschen im Stall zu bleiben. „Vielleicht brauchen sie mich ja noch“, hatte er zu Drago gesagt, der ihm viel Glück wünschte.
Draußen vor dem Stall sah der kleine Drache wieder hinauf zu seinem Stern, der immer noch strahlend am Himmel stand, breitete seine Flügel aus und erhob sich in die Lüfte.
„Zeig mir den Weg, Stern!“, rief er. „Hilf mir, diese Welt kennen zu lernen!“
Der Stern funkelte, als würde er blinzeln und begann wieder vor Drago herzuziehen. Es gab schließlich noch viel, was er dem kleinen Drachen zeigen konnte.
©Petra Staufer _________________ Alles Liebe
Petra
Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge |
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Verfasst am: 09.12.2010, 12:59 Titel: Werbung |
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gabrielle Gast
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Verfasst am: 09.12.2010, 17:38 Titel: |
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Oh bitte, darf ich dich bitten, die andere Drachengeschichte auch einzustellen???
Liebe Grüße!
Gabrielle |
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Zabanja

Anmeldungsdatum: 17.11.2010 Beiträge: 1367 Wohnort: Wien
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Verfasst am: 09.12.2010, 18:18 Titel: |
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Ja sicher.
Ich stell sie hier gleich drunter. _________________ Alles Liebe
Petra
Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge |
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Zabanja

Anmeldungsdatum: 17.11.2010 Beiträge: 1367 Wohnort: Wien
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Verfasst am: 09.12.2010, 18:18 Titel: |
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Für Steffie
Wie der kleine Drache das Fliegen lernte
„Also dann, mach’s gut und pass gut auf dich auf!“ Traurig sah der kleine Drache zu, wie nun auch die letzte seiner Schwestern das elterliche Nest verließ und sich auf den Weg machte, um erwachsen zu werden.
Er wusste nicht, wie lange er schon am Nestrand gestanden hatte, als Syra - seine Mutter - von der Futtersuche wieder zurückkam. Als sie Drago so stehen sah, tat er ihr furchtbar leid. Von Geburt an war er anders gewesen, als seine Geschwister. Sein Ei hatte ganz am Rande des Nestes gelegen. Kaum war er geschlüpft, als er auch schon über den Rand rutschte und beinahe den steilen Berg hinunterfiel. Syra hatte ihn gerade noch am Schwanz packen können.
Seitdem hatte Drago Angst vor der Tiefe. Er traute sich kaum über den Nestrand zu sehen. Und wenn er es tat, wurde ihm so schwindlig, dass er gleich wieder ein paar Schritte zurücktrat. Aus diesem Grund hatte er natürlich auch nie fliegen gelernt. Seine Geschwister hatten ihn immer etwas geärgert und versucht, ihn durch Sticheleien dazu zu bringen, sich endlich aus dem Nest zu schwingen – doch vergeblich.
Nur Syra hatte nie versucht, ihn zum Fliegen zu drängen. Auch jetzt nahm sie ihn einfach in ihre Arme und zog ihn liebevoll zu sich her. „Mach dir nichts draus, mein Kleiner. Glaub mir, eines Tages kannst du fliegen. Und dann wirst du der Beste von allen sein.“
Der kleine Drache sah mit Tränen in den Augen auf und kuschelte sich an seine Mutter. Daraufhin fing Syra an, ihm von Jothena zu erzählen. Jothena war ein sehr alter und weiser Drache. Manche Leute sagten sogar, er sei der weiseste und klügste Drache der Welt. Aber das sei nicht immer so gewesen. Vor langer, langer Zeit hätte Jothena vor allem und jedem Angst gehabt. Aber dann sei etwas geschehen, das ihn seine ganze Angst vergessen ließ. Kurz darauf allerdings habe er sich in seine Höhle zurückgezogen und niemand wusste, wo er sich nun aufhielt.
Gebannt hatte Drago zugehört. Der klügste und tapferste Drache der Welt. Das klang gut. >Bestimmt könnte er mir auch zeigen, wie man seine Angst verliert<, dachte der kleine Drache bei sich. Und noch während er darüber nachdachte, schlief er ein.
Er träumte, dass er vor einer großen Höhle stand. Auf einmal kam ein steinalter Drache heraus, berührte seine Brust und sagte zu ihm, dass er von jetzt an fliegen könnte. Der kleine Drache breitete daraufhin seine Flügel aus – und tatsächlich – er konnte fliegen.
Ruckartig setzte Drago sich auf und sah sich um. Traurig erkannte er, dass er immer noch in seinem gewohnten Nest saß und seine Mutter friedlich neben ihm schlief. Da beschloss Drago, sich auf die Suche nach Jothena zu machen. Er war fest entschlossen, endlich fliegen zu lernen.
Vorsichtig, trat er an den Nestrand. Als es ihm diesmal wieder schwindlig wurde, schloss er ganz fest die Augen und kletterte über den Rand.
Ab und zu blinzelte er etwas, um zu sehen, wo er sich befand. Aber ansonsten kletterte er einfach blind weiter. Als er wieder einmal die Augen zur Kontrolle öffnete, sah er unter sich eine große, grüne Wiese, die sanft nach unten abfiel. Drago war begeistert. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas anderes gesehen, als die grauen Felsen um sein Nest herum. Daher kam ihm die Wiese nun wie ein Paradies vor.
Übermütig hüpfte er die letzten Felsen hinab auf die Wiese und ließ sich ins Gras fallen. Er roch an den bunten Blumen, sah den Schmetterlingen zu und rutschte schließlich den Hügel auf seinem Schwanz hinunter.
Unten angekommen, sah er einen großen Wald vor sich. Wieder war er sehr erstaunt. So große Bäume hatte er noch nie gesehen. Neben der Höhle hatten zwar ein paar krumme Büsche gestanden, aber die waren nur sehr niedrig gewesen. Fasziniert ging Drago weiter in den Wald hinein. Da traf er auf ein seltsames Wesen. Es war kleiner als er, hatte ein grau-schwarzes Fell und sehr spitze Zähne. Es war ein Wolf, aber das konnte Drago ja nicht wissen, da er noch nie ein anderes Lebewesen außer Drachen und vereinzelt ein paar Vögel gesehen hatte. Der kleine Drache ging direkt auf den Wolf zu und fragte ihn: „Hallo du! Kannst du mir sagen, wo ich Jothena finde?“
Der Wolf sah den kleinen Drachen aus seinen funkelnden Augen an und antwortete: „Jothena? Den Namen habe ich noch nie gehört. Frag den Bären, du komisches, grünes Ding, vielleicht weiß der ja etwas.“ Und mit einem Satz war der Wolf wieder im Dickicht verschwunden.
Drago lief weiter durch den Wald. Aber wie sollte er hier den Bären finden? Er wusste ja gar nicht, was ein Bär war und wie er aussah.
Ganz in Gedanken versunken, passte Drago nicht auf wohin er lief und plötzlich stieß er mit einer großen Fellkugel zusammen. Erstaunt sah er auf und trat erschrocken ein paar Schritte zurück, als sich die Fellkugel plötzlich aufrichtete und sich zu ihm umdrehte.
„Bist... bist du der Bär?“, fragte Drago schüchtern. Der Bär gähnte herzhaft und sah dann auf den kleinen Drachen hinunter.
„Ja, aber warum störst du meine Ruhe?“ fragte er brummend.
„Ich... ich bin auf der Suche nach Jothena“, sagte der kleine Drache scheu. „Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich ihn finde?“
„Jothena? Noch nie gehört. Jetzt verschwinde schon und lass mich schlafen du Knirps“, brummte der Bär mürrisch und legte sich wieder hin.
Schnell lief Drago weiter und wäre um ein Haar auf ein kleines Tier getreten, das vor ihm über den Boden kroch. Es war eine Schlange.
„Sachte, sachte, kleiner Drache,“ zischte die Schlange freundlich. „Warum hast du es denn so eilig?“
Erstaunt war Drago stehen geblieben. Dieses seltsame Tier wusste, was er war? Neugierig beugte er sich zu ihm hinab. „Ich suche Jothena. Weißt du vielleicht, wo er lebt?“
Die Schlange überlegte kurz und erinnerte sich dann, dass ein befreundeter Drache einen Jothena erwähnt hatte.
„So so, du suchst also Jothena. Leider kann ich dir nicht sagen, wo seine Höhle ist, aber versuch es doch mal in der Wüste. Er liebt die Einsamkeit.“
Drago bedankte sich bei der Schlange und lief in die Richtung, die sie ihm mit ihrer Schwanzspitze gewiesen hatte. Bald darauf hatte er den Waldrand erreicht und vor ihm erstreckte sich eine große Wüste. Der feine Sand machte dem kleinen Drachen schwer zu schaffen und er sank immer wieder tief ein. >Gibt es hier denn gar keine Tiere?< wunderte sich der kleine Drache. Doch endlich bewegte sich etwas vor ihm. Ein kleines Wesen sprang in großen Sätzen an ihm vorbei.
„Hey, du, warte doch!“ rief Drago ihm hinterher. Doch es hielt nicht an und so rannte er ihm nach.
„Warum hüpfst du denn so schnell?“, fragte er etwas außer Atem. Das kleine Wesen blieb nun doch stehen und sah Drago erstaunt an. „Na, was denkst du wohl? Der Wüstenfuchs ist hinter mir her und will mich fressen.“
„Aber warum denn?“
„Weil Fenneke nun mal Wüstenspringmäuse fressen, darum“, antwortete die Wüstenspringmaus und fing wieder an zu hüpfen.
„Nun warte doch mal, ich muss dich was fragen. Weißt du, wo Jothena lebt?“
„Nein, tut mir leid. Aber du kannst ja mal den Fennek fragen. Da hinten kommt er schon. Ich muss jetzt wirklich los.“ Mit diesen Worten ließ die Wüstenspringmaus Drago stehen und hüpfte eilends davon. Da war der Fennek auch schon da. Lustig sah er aus, mit seinen großen Ohren und seinem buschigen Schwanz. Der kleine Drache stellte sich dem Wüstenfuchs in den Weg und fragte ihn: „Hallo Fennek. Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich Jothena finde?“
„Keine Zeit, keine Zeit!“ rief der Wüstenfuchs. „Ich muss diese Maus erwischen!“ Und schon war er an Drago vorbeigeeilt.
Traurig ging Drago weiter. Es wurde immer heißer und heißer und er bekam schrecklichen Durst. Mit einem Mal, landete ein riesiger Vogel vor ihm. Er hatte einen langen, nackten Hals und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an.
„Sag mal, du bist doch ein Drache, nicht war?“, fragte der Geier. „Was machst du denn hier in der Wüste?“
„Ja, ich bin ein Drache“, antwortete Drago leise. „Ich suche jemanden, aber du kannst mir bestimmt auch nicht helfen.“
„Das kommt ganz darauf an. Wir Geier kommen viel herum. Frag mich doch einfach.“
„Ich suche Jothena, den weisen Drachen. Aber bist jetzt konnte mir keiner sagen, wo er lebt.“
„Hm,“ der Geier überlegte. „Also, in der Wüste lebt er nicht. Aber versuch es doch mal am Meer. Geh einfach weiter gerade aus, dann bist du bald da.“
Der kleine Drache dankte dem Geier und lief weiter. Es dauerte gar nicht lange, da hörte er das Meer rauschen. Jubelnd lief er auf das Wasser zu, doch als er einen Schluck davon getrunken hatte, schüttelte er angeekelt den Kopf.
„Igitt! Das ist ja ganz salzig!“
Ein Gelächter vom Wasser her ließ ihn aufschaun. Vor ihm schwammen drei Delfine, die ihn auslachten, weil er das Meerwasser nicht trinken konnte. Als der kleine Drache dann aber nach Jothena fragte, konnten sie ihm auch nicht sagen, wo er lebte.
„Aber eines ist sicher: im Meer lebt er nicht. Hier gibt es keine Drachen, nur Wasserschlangen und die sind nicht gerade besonders freundlich. Gib auf und geh wieder heim, kleiner Drache.“
Nun war Drago sehr niedergeschlagen und setzte sich mutlos in den Sand. Er war schon so weit gekommen und jetzt sollte er umkehren? Plötzlich bemerkte er, wie sich ihm ein großer Stein näherte. Erst als er genauer hinsah, merkte er, dass es ein Tier war. Es war eine riesige Schildkröte, die sich neben ihn setzte und ihm eine Muschelschale mit frischem Wasser reichte. Dankbar nahm Drago die Muschel an und trank sie mit einem Zug leer.
„Danke. Das war sehr nett von dir. Ich hatte wirklich riesigen Durst.“
Als die Schildkröte daraufhin nur lächelte, wurde der kleine Drache mutiger. „Sag mal, kennst du vielleicht Jothena?“
Wieder sah ihn die Schildkröte an und lächelte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch endlich antwortete sie: „Du suchst nach Jothena? Seit vielen vielen Jahren hat niemand mehr nach ihm gefragt.“
„Du weißt also, wo er ist?“ fragte der kleine Drache aufgeregt.
„Nicht genau, aber er ist irgendwo auf der anderen Seite des Meeres,“ antwortete die Schildkröte. Als sie Dragos traurige Miene sah, lächelte sie wieder aufmunternd. „Du fragst dich jetzt, wie du ans andere Ufer kommen sollst, nicht war? Keine Bange kleiner Drache. Steig auf meinen Rücken, ich werde dich hinüber tragen.“
Rasch kletterte Drago auf den Rücken der Schildkröte. Als er ordentlich saß und sich festhielt, ging sie zum Wasser und begann zu schwimmen. Sie schwammen die ganze Nacht hindurch und gegen Morgen, als die Sonne gerade aufgegangen war, erreichten sie das andere Ufer.
Der kleine Drache stieg von dem Rücken der Schildkröte herab und sah sich staunend um. Überall sah er Berge, die steil in den Himmel ragten. Dann fiel ihm ein, dass er sich noch gar nicht bedankt hatte und drehte sich zu der Schildkröte um, doch sie war bereits verschwunden.
>Schade,< dachte Drago bei sich, >ich hätte mich so gerne noch bei ihr bedankt.< Dann ging er weiter auf die Berge zu und begann hinaufzuklettern. Höher und höher stieg er hinauf und vergaß dabei fast, dass er Angst hatte.
Er hatte schon fast den halben Weg hinter sich, da begegnete ihm ein neues Tier. Es war sehr trittsicher, sprang leichtfüßig von einem Felsvorsprung zum anderen und trug ein Paar beeindruckender Hörner auf dem Kopf - ein Steinbock. Als der Steinbock den kleinen Drachen sah, sprang er zu ihm hinunter und fragte: „Was machst du denn hier, kleiner Drache? Solltest du nicht zu Hause sein? Deine Mutter macht sich bestimmt große Sorgen um dich.“
Da erschrak Drago furchtbar. Er hatte gar nicht mehr an Syra gedacht, so versessen war er darauf, Jothena zu finden.
„Ich... ich wollte doch nur Jothena, den weisen Drachen, finden, damit er mir das Fliegen beibringt“, stotterte er verlegen.
Da lächelte der Steinbock. „So so, du willst also fliegen lernen. Also gut. Komm mit. Ich werde dich zu Jothena bringen.“ Er drehte sich um und sprang davon.
Drago hatte es nicht besonders leicht, dem Steinbock zu folgen, der geschickt von einem Felsen zum anderen sprang. Er wollte ihm schon zurufen, dass er eine Pause bräuchte, als der Steinbock plötzlich stehen blieb, auf eine große Höhle deutete und zwischen den Felsen verschwand.
Ehrfürchtig blieb der kleine Drache vor dem Eingang stehen. Das also war sie – die Höhle des weisesten aller Drachen. Er überlegte noch, ob er denn einfach eintreten dürfe, als er eine Stimme aus dem Inneren der Höhle vernahm.
„Komm nur herein, kleiner Drache. Du hast einen langen Weg hinter dir und sollst dich ausruhen.“
Langsam und vorsichtig tapste Drago hinein. Nach einer Weile konnte er einen warmen Lichtschein sehen und als er um die Ecke bog, sah er einen sehr alten Drachen, der ihm freundlich entgegen sah.
„Ha... hallo,“ sagte der kleine Drache. „Bist du Jothena?“
Der alte Drache nickte und sprach: „Ja, so nennt man mich seit mehreren hundert Jahren. Und du bist Drago, nicht wahr?“ Als der kleine Drache nickte, fragte er: „Warum bist du zu mir gekommen?“
Drago zögerte etwas, doch dann erzählte er dem alten Drachen all das, was er erlebt hatte. Dass er Angst vor der Höhe und dem Fliegen hatte, wie er deswegen immer geärgert worden war und wie er sein Nest und seine Mutter verlassen hatte. Er erzählte von dem Wolf, dem Bär und der Schlange, der Wüstenspringmaus und dem Fennek, dem Geier, den Delfinen, der Schildkröte und zuletzt dem Steinbock. Dann sah er auf und meinte: „Und jetzt, da ich dich gefunden habe, möchte ich dich bitten, dass du mir das Fliegen beibringst. Ich möchte nämlich gerne nach Hause zu meiner Mutter, aber ich kann nicht mehr hier herunterklettern, weil ich doch so viel Angst habe.“
Da lächelte Jothena und sagte leise: „Aber warum hast du denn Angst? Du hast so viele Gefahren überstanden, bist den Tieren des Waldes, der Hitze der Wüste und der Tiefe des Meeres entkommen und hast es sogar geschafft, zu mir hinauf zu klettern. Da brauchst du doch wirklich keine Angst mehr zu haben. Schau mal, Drago, jeder Drache kann fliegen. Ob er es zu Hause gelernt hat oder nicht. Es liegt in unserer Natur zu fliegen. Du brauchst nur an den Rand der Felsen zu gehen, deine Flügel auszubreiten und dich fallen zu lassen. Den Rest erledigst du automatisch. Du siehst also, es gibt nichts, was ich dir beibringen könnte.“
Zögernd sah Drago zum Höhlenausgang hinaus. „Du meinst also, ich muss mich nur fallen lassen?“
Er ging auf den Rand der Felsen zu und sah hinunter. Sofort war die Angst wieder da und er trat einige Schritte zurück.
„Nur Mut, Drago. Wirf dein Herz voran und dann spring nach. Du wirst sehen, du kannst es“, hörte er den alten Drachen hinter sich sagen.
„Aber, wie kann ich denn mein Herz vorauswerfen?“
Als Jothena merkte, dass der kleine Drache immer noch zögerte, kramte er in seiner Höhle und trat dann neben Drago. Er drückte ihm einen Stein in der Form eines Herzens in die Hand und nickte ihm aufmunternd zu.
Drago sah das kleine Steinherz an und fühlte mit einem Mal, wie ihn der Mut durchströmte. Jothena hatte Recht. Er konnte fliegen. Alle Drachen konnten fliegen, sonst hätten sie ja keine Flügel. Er trat wieder an den Rand der Höhle, warf das Steinherz in die Tiefe, breitete seine Flügel aus und ließ sich einfach fallen.
Erst stürzte er ein Stück in die Tiefe, doch dann schlug er automatisch mit den Flügeln und gewann wieder an Höhe.
„Ich kann fliegen! Ich kann fliegen! Sieh doch nur, Jothena, ich kann es wirklich!“ rief der kleine Drache begeistert. „Danke, Jothena, vielen vielen Dank. Ich muss jetzt fort, meine Mutter wartet schon auf mich.“
Und dann flog er fort. Zurück über das große Meer, über die heiße Wüste und über den dunklen Wald bis an die Höhle seiner Mutter, die ihn schon von weitem kommen sah und ihn mit Tränen in den Augen in ihre Arme nahm, als er sie erreicht hatte.
„Siehst du, Drago,“ flüsterte sie leise, „ich hatte Recht. Du bist der Beste von allen.“
©Petra Staufer 2001 _________________ Alles Liebe
Petra
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